Kenneth Bailey

Kenneth E. Bailey – ein Porträt

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Verstehen wir das Neue Testament eigentlich richtig? Wo liegen die größten Missverständnisse im westlich geprägten Verständnis der Bibel?

Diese Fragen haben Kenneth E. Bailey sein Leben lang beschäftigt. Am 23. Mai 2016 ist er im Alter von 85 Jahren nach kurzer Krankheit gestorben.

Er hinterlässt ein reiches theologisches Erbe, das Leserinnen und Lesern die Kultur der biblischen Texte näher bringt. Eines seiner wichtigsten Werke erscheint im Februar 2017 beim SCM R.Brockhaus Verlag: „Jesus war kein Europäer. Die Kultur des Nahen Ostens und die Lebenswelt der Evangelien“.

Darin gibt Bailey Einblicke in die Denkwelt Jesu. Unter anderem erklärt er, warum Jesus in einer Krippe, aber nicht in einem Stall lag. Oder was er in den Staub schrieb, als die Ehebrecherin vor ihm stand.

Bailey wuchs als Kind von Missionaren im Nahen Osten auf und lebte und lehrte selber viele Jahre an theologischen Instituten im Libanon, Israel, Ägypten und Zypern. Die kulturellen und sprachlichen Hintergründe kannte er daher wie seine eigene Westentasche.

Über das Gleichnis des Verlorenen Sohns (englisch)

 

Ein Leben für die Bibel

Geboren wurde Kenneth Bailey im Nahen Osten, wo seine Eltern als Missionare arbeiteten. Schon als Kind tauchte er so in die arabische Kultur ein und lernte die arabische Sprache. Er kehrte in die USA zurück (dem Heimatland seiner Eltern), um Philosophie am Monmouth College in Illinois zu studieren. Dort traf er seine Frau Ethel Jean Milligan, die er heiratete, bevor er an das Pittsburgh Theological Seminary in Pennsylvania ging. Im Anschluss daran zog das Ehepaar 1955 nach Ägypten, wo sie ihre eigene missionarische Arbeit aufnahmen. Sie waren im Rahmen der ägyptischen Evangelikalen (Presbyterianischen) Kirche tätig, gingen in die umliegenden Dörfer, unterrichteten Analphabeten und lehrten die Bibel. Während der nächsten zehn Jahre vertieften sie ihre Arabischkenntnisse und tauchten ein in die Volkskultur des Nahen Ostens. Seine Erfahrungen brachte Kenneth schon damals dazu, die Bibel – und vor allem die Reden und Gleichnisse Jesu – neu zu lesen und sie dabei in ihrem kulturellen Kontext wahrzunehmen.


1965 schickte man die Baileys an die Near East School of Theology (NEST) in Beirut im Libanon. Fünf Jahre später kehrten sie in die USA zurück, wo Kenneth sich als Doktorand am Concordia Theological Seminary in St. Louis, Missouri, einschrieb. Einer seiner Schwerpunkte war das intensive Studium biblischer Sprachen – Hebräisch, Aramäisch und Altsyrisch. Durch die neu erworbene Fähigkeit, biblische Texte, den Talmud oder jüdische Kommentare im Original zu lesen, und mit Blick auf seine eigenen Einsichten und Kenntnisse der arabischen Kultur, begann er die biblischen Texte durch eben diese Brille zu lesen. Die Verbindung dieser neuen Möglichkeiten mit seinem Studium der Evangelien im griechischen Original, ermöglichte es ihm, die Heilige Schrift zu lesen und dabei Jesus als Menschen einer bestimmten Region und Epoche wahrzunehmen, mit allen kulturellen Nuancen, die aus dieser Zeit und diesem Teil des griechisch-römischen Reiches widerhallten.

 

1972 gingen die Baileys zurück nach Beirut. Hier erlebten sie die meiste Zeit des 17 Jahre dauernden Bürgerkrieges. Baileys Studenten am NEST waren multikulturell geprägt, einige waren Araber, andere armenische Libanesen, Syrer, Amerikaner und Europäer, und wieder andere kamen aus dem Sudan, Kenia oder Nigeria, wo ebenfalls Kriege herrschten. In diesem Zeitraum tat sich auch eine neue Tür auf, die Bailey nach Nikosia und Jerusalem führte. In Zypern wurde ihm das Amt des Kanonikers der Anglikanischen Diözese Zyperns und des Golfs übertragen, während man ihm in Jerusalem eine Mitgliedschaft am Tantur Ecumenical Institute anbot, Aufgaben, die er bis zu seinem Ruhestand 1995 wahrnahm.

Während seines Lebens hat Dr. Bailey zehn Bände über spezifische biblische Themen verfasst, die zu bedeutsamen Standardwerken für Theologen, Pastoren und Leiter christlicher Einrichtungen geworden sind. Er war ein international gefragter Redner, unter anderem hielt er Vorträge in Oxford im Center for Mission Studies, in Kairo im Center for the Study of Middle Eastern Christianity oder bei den katholischen Maryknoll Sisters, die sich für die Armen in der Welt einsetzen.


Bekannt geworden ist er vor allem für seine tiefen Einsichten in die Gleichnisse Jesu, insbesondere das Gleichnis des verlorenen Sohns (oder des vergebenden Vaters). Seine Bücher und zahlreichen Zeitschriftenartikel sind weltweit gelesen worden, seine Videos tausendfach gekauft bzw. angeklickt, darunter der professionell produzierte Film „Finding the Lost“ („Die Verlorenen finden“).  Seine letzte Monografie war „The Good Shepherd: A Thousand Year Journey from Psalm 23 to the New Testament“ („Der gute Hirte: eine jahrtausendlange Reise von Psalm 23 ins Neue Testament“) (2014), die er selbst als sein bestes Werk ansah.


Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Auf Deutsch erschien bisher „Der ganz andere Vater: Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn aus nahöstlicher Perspektive in Szene gesetzt“ („The Cross and the Prodigal“). Im September erscheint bei SCM R.Brockhaus der Titel „Jesus war kein Europäer“ („Jesus Through Middle Eastern Eyes“).


2010 verlor Dr. Bailey seinen Sohn David. Überlebt wird er von seiner Frau Ethel, seiner Tochter Sara Makari und ihrem Mann Victor, seiner Schwiegertochter Leslie und seinen Enkeln Kelcey und Cameron.

 

(Quelle: shenango.org/bailey, 03.06.2016)

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