Tamara Hinz über ein authentisches Miteinander, geistliche Krisen und einen wunderbaren Jesus
Nein, ich bin kein geistlicher Superheld! Ich versuche, die Sache mit Jesus einfach irgendwie hinzubekommen. Oft gelingt mir das ganz gut, aber dann gibt es Dinge, die mich wieder aus der Bahn werfen: Selbstzweifel, Schuldgefühle oder Sorgen, die ich nicht in den Griff bekomme. Aber wissen Sie, was ich inzwischen kapiert habe? Das macht gar nichts! Denn ich lebe nicht davon, dass ich ein perfekter Christ bin, sondern davon, dass Jesus mich bedingungslos liebt. Er kriegt die Sache mit mir hin – und das reicht! Bei ihm brauche ich nichts vorzuweisen, sondern darf die sein, die ich bin. Und weil das so ist, dürfen wir auch im Miteinander authentisch sein. Unsere frommen Fassaden dürfen, ja, sollen sogar Risse bekommen und bröckeln. Ich finde diesen Gedanken sehr befreiend!
Ich bin als junger Mensch in das Thema „Nachfolge“ und „Dienst für Jesus“ mit großer Leidenschaft, großen Visionen, aber auch mit ganz hohen Idealen eingestiegen. Nach unserer „weltlichen“ Ausbildung haben mein Mann und ich noch eine theologische Ausbildung an der BTA Wiedenest absolviert und sind dann in den Gemeindedienst gegangen: Mein Mann als Pastor und ich als dazugehörige Ehefrau mit all den Anforderungen, die das mit sich brachte.
Zeitgleich starteten wir in die Familiengründung und bekamen in relativ kurzen Abständen vier Kinder. Das hieß im Klartext: Mein Mann war rund um die Uhr in Sachen Gemeinde unterwegs und ich kämpfte zu Hause meinen ganz eigenen Kampf mit vier Kleinkindern. Darüber hinaus versuchte ich, so gut es ging, meinen Mann in seinem Dienst zu unterstützen und selbst in der Gemeinde mitzuarbeiten.
An diesem Punkt bekam meine anfängliche Vision erste Beulen und Kratzer: Unser Gemeindedienst wurde von mir zunehmend als Last empfunden und lag in einem ständigen Widerstreit mit meinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen. Ich hätte meinen Mann ja auch zu Hause als Unterstützung gebraucht. Hätte Zeit für mich selbst gebraucht und Zeit, meine ureigensten Gaben zu entwickeln und meinen eigenen Weg zu gehen. Aber das zu sagen und vielleicht sogar einzufordern, traute ich mich nicht! Denn ich wollte ja „geistlich“ sein und meinen Mann freigeben für seinen Dienst − und ihn nicht mit meinen egoistischen Wünschen und Ansprüchen blockieren. Unmerklich wuchs in mir ein innerer Zwiespalt zwischen den Ansprüchen und Idealen, die ich von mir und unserem Dienst im Kopf hatte und dem, was eigentlich in mir steckte. Das Eigentliche drückte ich einfach nur weg. Diese Methode der Lebensbewältigung sollte sich später als verhängnisvolle Falle entpuppen.
Die Gemeindesituation, in die wir damals als sehr junges Ehepaar einstiegen, war zudem recht schwierig. Es gab einerseits viele Aufbrüche, aber auch jede Menge Konflikte. Wir hatten Visionen im Herzen, viele neue Ideen und brannten für Jesus, stießen aber oftmals auf Traditionen und auf verkrustete Frömmigkeit, mit der wir nicht umzugehen wussten. Und das sorgte für jede Menge Zündstoff im Miteinander!
Jetzt bekam meine anfängliche Vision noch mehr Beulen! Es gab Tage, an denen habe ich unseren Dienst, den ich ja als Dienst für Gott verstand, regelrecht gehasst. Weil dieser Dienst so enorm viele Kräfte verschliss und so viel Energie aus unserem Leben absaugte.
Was unweigerlich dazu kam: Ich folgte auch Jesus nicht mehr gerne und willig nach, sondern schleppte mich nur noch müde hinter ihm her. Er – das war mein Empfinden − hatte mir das Ganze schließlich eingebrockt!
Und so rutschte ich immer weiter weg von der anfänglichen Leidenschaft und Vision, bis ich schließlich ausgebrannt und müde in einer handfesten Depression mit kaum zu bändigenden Angstzuständen landete.
Mit einem Mal war von der Powerfrau, der Supermutter und der patenten Frau eines Pastors nicht viel mehr übrig als ein Häufchen Elend. Meinen „normalen“ Alltag bekam ich gerade noch so hin, aber mehr ging nicht. Mein Inneres streikte und warf mich aus der Normalität. Rückblickend würde ich sagen: Diese Krise hatte schon lange in meinem Leben Anlauf genommen und war ausgelöst durch Überlastung, ein Übermaß an Fremdbestimmung, überhöhte Ideale, eine schlechte Selbstwahrnehmung und einem Selbstwertgefühl, das total im Keller war. Meine teilweise noch unverarbeitete Vergangenheit tat ihr Übriges.
Aber in meinem Leben ist seitdem eine Menge passiert!
Jesus hat mich mit einer unglaublichen Geduld und Zartheit aus meinem Loch herausgelockt und herausgeliebt. Er hat mich gelehrt, stark zu sein und zu kämpfen: für die Einhaltung meiner Grenzen und für den Lebensraum, den ich brauche, um mich zu entfalten. Er war mein Rückenstärker, mein Vorausgeher, mein Wegfreimacher und mein Mutzuflüsterer. Darüber hinaus habe ich allein und mit professioneller Hilfe an vielen Themen sehr intensiv gearbeitet, so dass ich heute sagen kann:
Ich liebe Jesus mehr, als je zuvor und diene ihm wieder leidenschaftlich gern! Ganz anders als vorher und an der einen oder anderen Stelle sicherlich immer noch etwas verbeult, aber dennoch wieder mit ganz viel Freude und Begeisterung im Herzen!
Vieles, von dem, was ich in der Krise durchlebt und durchkämpft habe, teile ich in meinen Büchern mit den Lesern. Weil ich möchte, dass wir ein authentisches Miteinander pflegen. Denn das ist unglaublich befreiend und weitaus weniger anstrengend, als wenn wir alle an unseren frommen Fassaden basteln und uns gegenseitig ständig beweisen müssen, was für großartige, geistliche Superhelden wir sind. Das sind wir nämlich nicht! Aber das macht auch nichts. Denn Jesus kriegt es schon irgendwie mit uns hin – mit mir und mit Ihnen auch!
Tamara Hinz